Die Otto Group steht in Zeiten von Krieg, Verunsicherungen und Konsumzurückhaltung vor der Herausforderung, eine andere Stärke zu entwickeln als bisher. Mit welchem strategischen Rüstzeug die Reise unter neuer Führung weitergehen soll und welche Rolle Werte dabei noch spielen sollen, erläutern die neue Vorstandsvorsitzende Petra Scharner-Wolff und der neue Aufsichtsratsvorsitzende Alexander Birken im Gespräch.
Wir müssen unsere Kund*innen immer wieder neu inspirieren.
Frau Scharner-Wolff, Sie stehen seit rund hundert Tagen an der Spitze der Otto Group. Wie fühlt sich das an?
Petra Scharner-Wolff: Exzellent! Einerseits bin ich seit über zwanzig Jahren in der Unternehmensgruppe und von daher ist mir vieles vertraut. Andererseits bin ich gerade auf Tour durch die Konzerngesellschaften, um mit den Kolleg*innen vor Ort über unsere strategische Agenda zu diskutieren. Das empfinde ich gerade als sehr erfrischend, inspirierend und auch herausfordernd.
Herausfordernd bleibt das politische und wirtschaftliche Umfeld. Was bedeutet das für eine Handels- und Dienstleistungsgruppe wie der Otto Group?
Petra Scharner-Wolff: Wir beobachten die aktuellen Entwicklungen genau. Seit dem Krieg in der Ukraine erleben wir erhebliche politische und wirtschaftliche Verwerfungen, die sich durch die aktuellen politischen Entwicklungen nicht beruhigt haben, im Gegenteil. Das Zukunftsvertrauen der Menschen droht noch weiter zu schwinden. Für unser weltweites Geschäft bedeutet das: Wir müssen unsere Kund*innen immer wieder neu inspirieren und gleichzeitig mit weiteren herausfordernden Rahmenbedingungen wie gestörten oder veränderten Lieferketten und einem zunehmend härteren Wettbewerb umgehen. Für dieses und das kommende Jahr erwarten wir keinen Rückenwind aus dem Markt. Den Erfolg müssen wir selbst erzeugen.
Unter Ihrer Ägide, Herr Birken, hat die Otto Group den Wettbewerb immer mit der Qualität von Produkten und nachhaltigem Engagement für Umwelt und Soziales geführt. Heute sind viele Kund*innen preissensibler denn je, steigen reihenweise Unternehmen aus Klimaallianzen und Diversitätsprogrammen aus. Hat sich das Erfolgsmodell der Otto Group erledigt?
Alexander Birken: Keinesfalls. Das Thema Klimaschutz bleibt das vordringlichste für die Menschheit. Auch in anspruchsvollen Zeiten und wenn Menschen auf Euro und Cent achten, bleibt dies so. Das größte Problem aber, das wir im Augenblick gesellschaftlich haben, ist ein völlig unnötiger Kampf um kulturelle Deutungshoheit, der uns allen schadet. Wir werden doch jetzt nicht wegen des politischen Drucks aus bestimmten Richtungen unsere Werte aufgeben. Diese Werte werden in der Otto Group schon seit vielen Jahrzehnten von den Gesellschaftern, der Führung und den Mitarbeitenden getragen. Sie sind Teil der DNA dieses Unternehmens und sie bleiben es.
Wie wichtig ist Ihnen diese Werteorientierung persönlich?
Alexander Birken: Sie ist der Kompass der Otto Group und hat uns in der Unternehmensgruppe und auch mir persönlich in den letzten acht Jahren im Vorstandsvorsitz stets den richtigen Weg gewiesen. Das galt in der Zeit des großen Aufbruchs, in der Zeit der Wirren durch die Coronapandemie und das galt insbesondere in den letzten, sehr schweren drei Jahren der politischen und wirtschaftlichen Krise. Wir haben die wichtigen technologischen, strukturellen und kulturellen Transformationsprozesse in der Otto Group nur gestemmt, weil wir einen gemeinsamen Wertekanon gelebt haben – Unternehmertum, Offenheit, Vertrauen.
In welchem Zustand haben Sie die Unternehmensgruppe übergeben?
Alexander Birken: Petra Scharner-Wolff, dem Vorstand und allen Mitarbeitenden ist im abgelaufenen Geschäftsjahr ein wichtiger Turnaround gelungen. Wir haben den Konzern aufgrund der Konsumkrise nicht nach Umsatzzuwachs, sondern mit Fokus auf Ergebnis und Liquidität gesteuert und haben auf allen Ergebnisebenen wieder sehr gute schwarzen Zahlen erreicht. Das ist ein schöner Erfolg und ein ordentliches Fundament für die gewaltige Reise, die die Otto Group unter Petra beginnen wird.
Wir werden unsere Werte nicht aufgeben.
Im Reisegepäck haben Sie, Frau Scharner-Wolff, eine strategische Agenda. Gibt es ein Ziel, dem Sie sich besonders verpflichtet fühlen?
Petra Scharner-Wolff: Gerade in einer Zeit verschärften Wettbewerbs versuche ich eines klar zu machen: Ohne zufriedene, ja begeisterte Kund*innen ist alles nichts. Wir überzeugen auf unseren Marktplätzen und mit unseren Markenkonzepten weltweit mit starken Qualitätsprodukten, einzigartigen Warensortimenten und differenzierenden Services. Zudem treten wir weiter den Beweis an, dass werteorientiertes Handeln und wirtschaftlicher Erfolg kein Gegensatz sein müssen und dass Werteversprechen die Kund*innen animieren, bei uns zu kaufen.
Bleibt der Fokus auf Rendite und Liquidität?
Petra Scharner-Wolff: Angesichts der erheblichen Volatilitäten auf den Märkten ist mein klares Ziel eine weiter zunehmende finanzielle Robustheit, die uns als Konzern in die Lage versetzen wird, mittelfristig weiter nachhaltig zu investieren. Wir werden die Profitabilität der einzelnen Unternehmenseinheiten ausbauen. Die Konsolidierung des Portfolios und Umstrukturierungen sind deshalb eine wichtige Arbeit und zentraler Faktor für die Zukunftsfähigkeit der Gruppe.
Wird die bisherige, sogenannte „fokussierte Wachstumsstrategie“ fortgesetzt?
Petra Scharner-Wolff: Mit unserer fokussierten Wachstumsstrategie der letzten Jahre haben wir die Basis für die aktuelle Stärke der Unternehmensgruppe gelegt. Jetzt setzen wir noch deutlicher als bisher auf die Skalierung relevanter und erfolgreicher Geschäftsmodelle in Europa und Nordamerika. Dazu gehören insbesondere otto.de, Crate and Barrel in Nordamerika und Eos weltweit. Dadurch werden wir mittel- und langfristig einen wachsenden Anteil internationalen Geschäfts sehen. Und ganz klar: Dann werden wir wieder wachsen – und zwar kräftig.
Welche Rolle spielen KI und der Kulturwandel des Unternehmens?
Petra Scharner-Wolff: Generative KI und Technologie insgesamt werden ganz klar zum Gamechanger. Eine wettbewerbsfähige Technologiekompetenz in allen Prozessen und auf allen Ebenen bleibt der zentrale Schlüssel für künftigen Erfolg. Besonders am Herzen liegt uns der Impact von Technologie auf das Business und die ausreichende Schnelligkeit, mit der wir dies für die Kund*innen erlebbar skalieren. Hier spannt sich der Bogen zum Kulturwandel. Es wird in Zukunft stärker um eine Performancekultur mit all den eben beschriebenen Werten gehen. Offenheit, Ehrlichkeit, Gestaltungsräume – wir wollen ein emotionales Bild kreieren, das die Lust am Machen und Bewegen unserer Kultur prägt.
Ein letztes Wort zum Generationenwechsel bei der Otto Group, dessen Teil Sie beide sind.
Alexander Birken: Ich freue mich sehr darauf, in meiner neuen Aufgabe gemeinsam mit den Gesellschaftern und dem Vorstand um den besten Weg zu ringen und alle Beteiligten nach Kräften zu unterstützen.
Petra Scharner-Wolff: Wir haben ja nicht nur einen Generationenwechsel auf der Gesellschafterebene und im Vorstand, sondern auch in der gesamten Unternehmensgruppe. Eine neue Generation gerade von Führungskräften steht bereit, die Herausforderungen der nächsten Jahre optimistisch und wirklich mutig zu meistern. Auf diese gemeinsame Arbeit freue ich mich ganz besonders.
Das Interview führte Thomas Voigt, Vice President Group Corporate Communications & Public Affairs.